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Hunde in Rumänien
Oktober 2011
von Sibille Jeske
Wir sind mit dem Schiff unterwegs, von Passau zum Schwarzen Meer.
Es ist die letzte Fahrt vor dem langen, harten Winter.
In Giurgio legen wir an, für den Ausflug nach Bukarest.
Man hat uns einen Zettel mitgegeben, dass wir die Hunde an
der Anlegestelle nicht füttern sollen,
angeblich ist eine Touristin gebissen worden,
es gab ein Riesentheater.
Von der weiblichen Crew habe ich gehört,
dass die Hunde aus Not ihre Welpen fressen,
denn nur von den Touristen werden sie gefüttert,
sonst gejagt, mit Steinen beworfen.
Wir haben etwas zu essen mitgenommen und auch bekommen,
wenn das die führenden Menschen auf dem Schiff erfahren,
werden unsere freundlichen Frauen entlassen.
Wir sind empört und dürfen doch nichts verraten.
Es sind viele Hunde während der Fütterung erschienen,
auch drei kleine, schwarze Welpen aus einem von der
Mutter ausgebuddelten Erdloch.
Sie haben eine kluge Mutter!
Auch sie sehen sich schon vor und kommen uns nicht zu nahe.
Sie haben alle Angst, schnappen schnell,
aber vorsichtig nach den Leckerbissen
und verschwinden gleich wieder in dem tiefen Erdloch.
Im Bus fragt der studentische Reiseführer fröhlich
"Was würde in der Welt fehlen, wenn es Rumänien nicht gäbe?
Überlegen Sie mal?"
Ich sagte,
"Es gäbe weniger Grausamkeit gegen Tiere in der Welt!"
Er wurde blass, obwohl ich es ihm leise allein anvertraute.
Später, als ich ihm meine Sicht erklärte, verstand er.
Mir wird schlecht, als ich die vielen überfahrenen Hunde
auf und an der Straße sehe.
In Oltenita legen wir wieder ab, hier sind nicht so
viele Hunde wie in Giurgio, aber dort im Gras,
dort liegt einer, der hilflos wirkt, dreckiges Weiß,
er wendet den Blick ab von mir.
Hat er keinen Hunger? Das kann nicht sein;
als ich auf ihn zugehe, versucht er hochzukommen,
aber er kann sich nicht aufrichten.
Ich sehe, dass er sich nicht traut, mir ein wenig näher zu rutschen,
um an Brot und Wurst heranzukommen.
Ich mache einen weiteren Schritt auf ihn zu.
Panik in seinen Augen, gierig frisst er,
obwohl er sich kaum bewegen kann.
Hat ihm jemand das Rückgrat gebrochen?
Ihm mit einer Schaufel Schläge versetzt?
Ist er angefahren worden??
Ich schäme mich, ein Mensch zu sein, gleichzeitig steigt Wut in mir hoch,
über die Bilder, die ich gesehen habe, von gespaltenen Schädeln.
Auch von abgehackten Beinen, so dass die Hunde nicht fliehen
können und jämmerlich verrecken.
Sie werden lebendig angezündet, und ...und ..und...
Nächstes Jahr die WM in der Ukraine.
Was wird mit euch werden???
Diese und viele andere Gedanken gehen mir durch den Kopf.
Was können wir tun?
Die katholische Kirche sagt, ihr habt keine Seele.
Wer keine Seele hat, sind wohl eher die nach dem
Ebenbild Gottes Erschaffenen.
Auf dem Schiff finde ich keine Ruhe mehr, überlege,
ob ich Christian, den Reiseführer anrufen kann,
ihm Geld überweisen,
dass er den Hund, der sich kaum bewegen konnte,
wegholt, ich würde dann wiederkommen und ihn holen,
oder ich lasse ihn bringen?
"Nein, einen Hund kriegen Sie hier nicht raus, Serbien macht so strenge
Kontrollen,"sagen mir die netten Frauen an der Rezeption.
Pitesti, auf den Straßenschildern habe ich mehrmals
diesen Namen gelesen,
der Ort ist ca. 100 km von Bukarest entfernt.
Pitesti....... Von der Anlegestelle aus sind wir zwei
Stunden nach Bukarest gefahren.
In Pitesti sitzt Ute Langenkamp aus Deutschland,
mit dem größten Tierheim der Welt.
Heute ca. -
Ich bin Mitglied bei dieser Organisation -
Tierhilfe-
Wenn ich die Augen schließe, sehe ich die Augen des Hundes vor mir.
Rückwärts gewandt schaut er entsetzt über die Schulter,
Böses von mir erwartend. Trotz des hingeworfenen Essens versucht er,
wegzurobben, Distanz zwischen sich und mir zu schaffen.
Aufgabe ist in seinem leeren Blick, ohne die geringste Hoffnung
auf Änderung, auf eine andere Erfahrung.
Nur Böses erwartend, seit Urzeiten vom Menschen, dem teuflischen
Ebenbild Gottes, geschaffen mit der Freiheit, zu töten,
zu jagen, alles Schwächere auszurotten;
geschaffen von einer Bestie, die Freiheit nur den Mächtigen gewährt,
den rücksichtslos Starken?
Die Krönung der Schöpfung???
"Macht euch die Erde untertan?"
Nach dem Ebenbild geschaffen?
Was ist Gott -
Er musste doch wissen, wie wir unsere Freiheit nutzen ! ! ! !
Ich identifiziere mich mit dem hilflosen Hund, bin eins mit ihm,
ausgeliefert an diese böse Macht.
Ich bin verloren, bin verloren im Schmerz ohne Hoffnung,
ohne Sinn, gnadenlos.
Ich bin gelähmt, kann nicht entkommen, den erbarmungslosen Augen,
den tötenden Händen, habe keinen Unterleib mehr,
bin hier im Gras allein, der Winter naht,
bin hier, ausgeliefert der Hölle auf Erden,
ohne Hoffnung, ohne Schönheit.
Ich möchte mich zu dir legen ins Gras,
möchte eine Schale sein für deine Gestalt.
Dich wärmen mit meiner zitternden Angst, fühlend wie du das
Böse in dieser gottlosen Welt.
Bei dir sein und dich sterben lassen in Frieden, und nicht allein;
dir mit meinen Augen sagend, dass es auch anderes gibt; a u c h ! ! !
Ich habe dieses andere erfahren,
gebe dir ab davon in deinen letzten Stunden.
Ich lasse dich, nein, möchte dich aus meinen Augen trinken lassen;
am Ende......ein winziges kleines Licht, durch das du sehen kannst
in eine andere Welt.
Eine Welt, von der wir beide träumen, die du und ich erfahren,
ineinander, füreinander, einen Wimpernschlag nur, einen kleinen.
Aber deine Augen haben in meine gesehen,
in deinem Abschied meine Liebe gesehen, nur einen winzigen Augenblick,
am Ende.
Das Ende der Welt auch für mich -
Am Sonntag rufe ich eine befreundete Tierschützerin an,
Gabriele, sie gibt mir alle Telefonnummern von Pitesti,
von Dettenhausen, dem Sitz des Tierheimes in Deutschland.
Ich habe Glück; Sonntag........ daran hatte ich nicht gedacht.
Doch am Abend erreiche ich Frau Langenkamp.
Als ich ihr die Situation schildere, sagt sie, dass sie die Orte
kennt und dass sie schon des
Öfteren dort Hunde weggeholt haben.
Sie fragt genau nach, jetzt erst merke ich, was für ein gutes
photographisches Gedächtnis ich habe.
"Zehn Schritte nach vorn von der Angegestelle aus,
dann sechs nach links, dort wo das Gras ist."
Sie will sofort für Montag ein Auto besorgen, damit sie mehrere Hunde dort wegholen kann.
Ich könnte sie umarmen.
Ich kenne sie nicht persönlich, bin nur Mitglied.
Ich kann es kaum fassen.
Am Montag vermittelt Frau Langenkamp telefonisch zwischen mir
und der Rumänin, die ein sehr schlechtes Englisch spricht,
wie Frau Langenkamp versichert, und die Hunde nach meiner
Ortsbeschreibung sucht.
Die Rumänin nimmt noch andere Welpen und ihre Mütter mit.
Dann sucht sie verzweifelt nach "meinem Hund."
Aber genau an der beschriebenen Stelle liegt eine Hündin auf ihrem toten Welpen.
"Nein, ich habe keinen Welpen gesehen, nein, der ist nicht beige,
nein, der Hund muss etwas am Rückgrat haben,
er konnte sich nicht bewegen!"
Wir kommen nicht weiter. Es wird dunkel.
Endlich spreche ich selber mit der Rumänin,
"Ja, ein schmutziges Weiß, ja, kniehoch;"
sie gebraucht dieselben Worte wie ich.
"Nicht beige," ( wie Frau Langenkamp sagte),
nein, ein Weiß, welches keines mehr ist!"
Seit zwei Stunden ist die Hündin im Auto, und sie hat immer noch nach
meinem "gelähmten Hund" gesucht.
Eine sehr sensible liebe Frau, diese Rumänin!
Nun ist alles klar. Die Aktion hat einen ganzen Tag gedauert.
Ich bin diesen wunderbaren Menschen so dankbar!
Mein gelähmter Hund ist eine Hündin, die ihren Welpen schützen
wollte und deshalb nicht aufstand.
Plötzlich begreife ich die Weisheit in den Worten,
dass der Mensch immer nur das erkennen kann,
was er schon weiß, was er auf irgendeine Art kennen gelernt hat.
Wir sind nicht in der Lage zu sehen, was wir nicht kennen.
Das habe ich aus dieser Situation heraus begriffen.
Ich bin froh, dass wenigstens diese zwanzig, die ins Auto hinein passten,
vor den Angriffen der Menschen gerettet sind.
Jedes Leben ist diese Mühe wert.
Obwohl ich traurig darüber bin, und auch
entsetzt, dass kein Fußballer seine Stimme für die Tiere erhoben hat,
die in der Ukraine lebendig verbrannt worden sind,
damit die vielen Hunde von der Straße verschwinden,
während und wegen der WM!
Einige Worte dazu von einer Mannschaft, oder auch nur einem bekannten Fußballer
und die Lage der Tiere wäre eine völlig andere gewesen!
Nur ein Wort davon, dass man in einem Lande, welches so grausam mit seinen Mitgeschöpfen umgehe,
nicht erscheinen würde, hätte alles ändern können, alles.
Aber umso reicher Menschen sind, umso ignoranter sind sie häufig, so erscheint es mir leider.
Den trostlosen Augen"meines Hundes", die mich nicht losgelassen haben,
verdanken die Welpen mit ihren Müttern im Grunde ihr Leben!
Und natürlich dem Tierheim in Pitesti mit seinen wunderbaren, selbstlosen Menschen.
Danke, danke, danke ! ! !
Danke Ute Langenkamp, danke an euch alle!
Danke Gabriele, für Deine Zuverlässigkeit, deinen beharrlichen Einsatz,
mir die Telefonnummern zukommen zu lassen!
Wir, Gabriele Albrecht und Sibille Jeske, sind froh, dass diese unschuldigen
Tiere 2011 gerettet worden sind.
Denn die heutige Hetzjagd beweist im Nachhinein, wie Recht
wir hatten mit unserer Angst um unsere Mitgeschöpfe.